02/08 In allem ist das Wesentliche enthalten

In Mecklenburg-Vorpommern fanden wir ein altes verfallenes Herrenhaus mit Stallungen, umgeben von einem verwilderten kleinen Park mitten im Wald, unweit eines wundervollen Sees. Das nächste winzige Straßendorf lag 2 km entfernt.
Als wir das Haus entdeckten, wurde es von einem Bauern als Stall für seine Kühe, Gänse, Enten und Hunde genutzt. Es gab kein fließendes Wasser, nur einen Brunnen, der aber nicht als Trinkwasser genutzt werden konnte.

Im Haus fehlten Türen und Fenster, es gab für die 28 Räume nur einen Ofen, es gab keine Toilette… Kurzum: eine Großbaustelle und viel zu groß für zwei ziemlich mittellose Künstler.
Mecklenburg ist geprägt durch eine wundervolle Natur. Oft wirkt sie melancholisch, mystisch und schwer. Ein wenig wie die Bilder einer Paula Modersohn Becker.
Hier fing mein künstlerisches Schaffen an.

Wir lebten sehr einfach, beschränkt auf das Wesentliche. Ich kann nicht sagen, dass das für mich einfach war.

Außer im Sommer, war es immer kalt im Haus.
Lange Zeit mussten wir mit der Milchkanne Trinkwasser vom nächsten Gehöft holen. Ich lernte, wie kostbar Wasser war und wie wundervoll die Wärme einer Küchengrude, wenn man vorher fleißig Holz gesammelt hatte.
Die ersten Jahre behalfen wir uns mit einem selbstgebauten Toilettenhäuschen und das erste fließende Wasser im Haus und ein richtiges Bad waren ein Fest!

Ich schreibe das so ausführlich, weil ich in dieser Zeit lernte, die Schönheit der einfachen Dinge zu entdecken.

Die pure Schönheit unverfälschten Seins.

Es ging nicht mehr um die philosophisch-intellektuelle Auseinandersetzung mit Kunst.

Ich wurde aus dem Kopf herauskatapultiert und stand nun mit beiden Beinen auf der Erde meiner mecklenburgischen Wahlheimat.
Ich liebte diese Landschaft und es sollte mir später sehr schwerfallen, sie wieder zu verlassen. In dieser Zeit entstanden pastose Landschaftsbilder in dunklen, gebrochenen Farbtönen sowie meine ersten kleinen und großen Ölstilleben.

Das Einfache, Schnörkellose, Unspektakuläre berührte mich tief. Stilles, sattes Leben!

So entstanden in dieser Zeit auch zahlreiche großformatige Aktzeichnungen.
Meine Modelle waren Frauen aus der Umgebung. Sie waren auf eine herbe Art schön; ungeschminkt und uneitel. Das respektvolle Arbeiten mit den Frauen gehörte mit zu meinen schönsten und intensivsten Erfahrungen in dieser Zeit.

Bereits in Leipzig begann ich mit der Herstellung von Textilcollagen. Ich entdeckte einen prächtigen Bildband „Textilkunst aus dem alten Peru“ und war so beeindruckt, dass ich mir eine alte Singernähmaschine kaufte, auf die Suche nach alten Stoffen ging (wir hatten in der Nähe einen Alttextilienhandel) und erste kleine Textilcollagen nähte.
Schon damals faszinierten mich gelebte, gebrauchte Stoffe, die eine Geschichte erzählten.

In Mecklenburg hatte ich nun jede Menge Platz. Von den Landfrauen bekam ich alte, oftmals handgewebte Leinen und alte Zelte. Im Wald, der als Übungsgelände der russischen Armee missbraucht wurde, fand ich Fallschirmseide und Planen. Die Stoffe färbte ich mit Pflanzenfarbe.
Oft war die große Wiese vor dem Haus mit Stoffen in den verschiedensten Naturtönen belegt.
Das Arbeiten in und mit der Natur ist wundervoll und sehr befriedigend. Es zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch mein ganzes Schaffen.

Es entstanden sehr große Textilcollagen, häufig bevölkert von seltsamen Traumgestalten, die sich ganz natürlich in meine Arbeiten „schmuggelten“. Sie symbolisieren auch noch in meinen neuen Arbeiten, innere Seins-Zustände.
Teilweise waren die Arbeiten 4-5 Meter lang und 2-3 Meter breit und es bereitete mir Freude, diese handwerkliche Herausforderung zu bewältigen.